Klassentreffen

Am Wochenende hatte ich Klassentreffen. Das Dritte, um genau zu sein. Einer meiner ehemaligen Mitschüler fragte, was ich denn jetzt so mache. Tja, was ganz anderes, als vor 10 Jahren beim letzten Treffen. Als dann so rauskam, dass ich auch schreibe, fragte er, wann denn die Geschichte zum Klassentreffen erscheinen würde. Nun, ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht vor darüber zu schreiben, bzw. darüber zu bloggen, doch mein ehemaliger Klassenkamerad sinnierte dann, dass die Geschichte ja mit „es war einmal“ anfangen könnte. „Es war einmal“ verbinde ich jedoch ganz stark mit Märchen, wobei — Märchen liebe ich ja! Auf der Heimfahrt dachte ich also noch einmal darüber nach und entschied, doch darüber zu schreiben. Ganz anonym natürlich. Aber viele meiner ehemaligen Klassenkameraden die dies vielleicht auch lesen werden, werden sich bestimmt an der ein oder anderen Stelle zurückfinden — auch ohne Namen.

bunnyAlso gut, der, der du heute meinen einstigen Spitznamen trägst: Es war einmal eine Klasse, für heutige Verhältnisse wohl eine sehr große Klasse. Dennoch war es eine Klasse, die wenn es darauf ankam immer an einem Strang zog. Natürlich hatten wir auch unsere Differenzen und manchmal schoss auch einer quer, fiel aus dem Rahmen, überspannte den Boden, sorgte dafür, dass der Hund in der Pfanne verrückt wurde — oder wie immer man das vor 35 Jahren nannte. Wie jede Klasse, die etwas auf sich hält, hatten natürlich auch wir einen Klassenclown, einen Mädchenschwarm (wobei der der jetzt wahrscheinlich denkt, dass er dies war, es nicht war — jedenfalls nicht in meinen Augen.) Es gab Musterschüler und nicht so musterhafte, dazu zähle ich mich auch selbst. Es gab einen der ständig nervte und das nicht nur wegen seiner langen Beine, sondern auch wegen seiner Fachsimpelei. Es gab stille Schüler und welche die man immer sofort hörte. Selbstverständlich wurde hier und da auch mal jemand gemobbt, auch wenn wir es damals noch nicht so nannten und dies auch sicherlich noch nicht mit so viel Boshaftigkeit geschah, wie es unter heutigen Schülern der Fall sein kann. Migrationsprobleme gab es nicht, leider dafür wohl schon Drogenprobleme. Dennoch; wenn’s drauf ankam waren wir eine Klasse. Ich bin allerdings überzeugt, dass wir dies vor allen Dingen auch unserem Klassenlehrer zu verdanken hatten. So einige meiner ehemaligen Klassenkameraden kamen nämlich aus einem Elternhaus, wo sie wenig oder gar keinen Halt fanden und dazu kann ich mich selbst auch wieder zählen. Und seit ich als Therapeutin arbeite habe ich mich auch immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass manche Menschen in ihrem Leben trotzdem die Kurve kriegten, obwohl sie als Kind zuhause die schrecklichsten Dinge erlebten und andere wiederum daran zerbrachen. Mag sein, dass eine stabile Psyche auch etwas mit Genetik zu tun hat oder mit dem Alter der Seele. Es mag aber auch sein, dass ein stabiles Klassenzimmer einiges von dem ausgleicht, was ein unstabiles Elternhaus an Schaden anrichtet.  Ganz bestimmt sogar.

Was mich angeht, so kam ich auch erst im 7. Schuljahr in diese Klasse, zusammen mit zwei anderen Mädchen. Vorher hatte ich einen Klassenlehrer der ganz deutlich einige Schüler bevorzugte, vornehmlich die aus besserem Hause. Die, die er nicht mochte, bekamen dies auch regelmäßig zu spüren und dazu gehörte ich ebenfalls. Ich weiß noch, wie er mir ein Schulbuch an den Kopf schlug, das ich einem Vertretungslehrer geliehen hatte. Es lag noch auf dem Lehrerpult, als er danach in die Klasse kam. Meine Aufsätze, die immer schon sehr lang waren, bewertete er prinzipiell nach der zweiten Seite mit der Note 5 oder 6. Darunter stand dann der Vermerk: „Zu lang und Thema verfehlt“. Die restlichen Seiten hatte er alle in rot durchgestrichen. Bei den Diktaten bekam ich für jedes große B, D oder P bei dem ich den hinteren Bogen durchgezogen hatte einen halben Fehlerpunkt. Falsche Liturgie, nannte er das. Und so wurde aus einer Schülerin die in der Grundschule das Schreiben liebte und entsprechend gute Noten hatte, ganz schnell eine der schlechtesten Schülerinnen. Dass ich dann in eine andere Klasse kam, dafür habe ich mich selbst eingesetzt — nach dieser Sache mit dem Schulbuch, dass ich an den Kopf bekam. Ausgerechnet dieser Lehrer jedoch wurde Jahre später Rektor meiner Schule. Mein neuer Klassenlehrer wiederum wurde später versetzt, für etwas, für das heutzutage noch nicht mal mehr Präsidenten ihres Amtes enthoben werden.

beeLeider war dieser Klassenlehrer bei dem Treffen am vergangenen Samstag nicht dabei. Allerdings war er es vor 10 Jahren, beim letzten Treffen. Damals war ich jedoch irgendwie nicht ganz bei der Sache gewesen. Denn damals steckte ich gerade in einer Phase, wo ich merkte, dass das was ich bis dahin beruflich getan hatte nicht mehr passte. Entsprechend unkonzentriert war ich und viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut und das sieht man wohl auch auf dem Foto von damals. Irgendwie hatte ich das mit dem Zusammenhalt der Klasse auch ganz vergessen — bis einer meiner ehemaligen Klassenkameraden dies am Samstagabend ansprach. Mit ihm zusammen besah ich mir auch ein altes Klassenfoto. Mein Gott, wie sich einige Leute im Laufe der Zeit verändern! Andere wiederum sehen noch fast genauso aus, wie früher. Von einem der zum Klassentreffen gekommen war, war ich sogar überzeugt, dass er sich verirrt haben müsse, weil ich ihn absolut nicht wiedererkannte! Früher war er klein und dick und erinnerte uns immer sehr stark an den Freund einer gewissen Biene, die damals als Zeichentrickfigur durchs Kinderfernsehn schwirrte. Ich bin überzeugt, dass sie ihn nach seiner Schulzeit irgendwo auf eine Streckbank geschnallt haben müssen. Jedenfalls muss er danach noch mindestens 50 cm gewachsen sein, wobei sich sein Übergewicht redlich gut in der Länge proportionierte. Ein anderer hat noch immer haargenau dasselbe Gesicht, wie früher — auch wenn der Lockenkopf einem Vokuhila gewichen ist, der eher zu einem Altrocker passen würde. Dieser jemand bestritt denn auch vehement, dass er das Lockenköpfchen unten rechts auf dem Klassenfoto sei. Andere wiederum waren immer noch sofort an ihrem Wesen zu erkennen. Eine, deren Lachen schon früher immer sehr laut war und deren Lachen einem schon früher die Ohren klingeln lassen konnte, ist auch heute noch schwer zu überhören. Obwohl — sie gehört auch zu denen die sich ansonsten kaum verändert haben. Selbst die Frisur ist immer noch identisch, was als Kompliment gemeint ist. Bei einigen hatte ich tatsächlich das Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben. So auch bei einem ehemaligem Klassenkamerad dessen Jeansjacke ich früher immer unbedingt tragen wollte. Und der, der früher schon der lange Lulatsch war, ist auch heute noch an seiner Größe zu erkennen. Wie oft sind wir früher über seine Füße gefallen, weil er seine Quadratlatschen immer im Gang parkte! So hatte jeder von uns eine Eigenart. Ich wurde zum Beispiel am Samstag schon von weitem an meinem Gang wiedererkannt (?!) und ich war die, die allen wegen ihrer extrem engen Jeans in Erinnerung geblieben war. Tja, die trage ich heute noch. Trotzdem war ich total aus dem Häuschen, als jemand zu mir sagte, sie hätte mich und meinen Hund vor ein paar Jahren mal im Fernsehen gesehen und sei total überrascht gewesen, weil ich einen Rock getragen hätte. (Ja, ich trage mittlerweile auch Röcke: lange Röcke, kurze Röcke und ich trage sogar Kleider. Und wenn es am Samstag auch nur ein bisschen wärmer gewesen wäre, hätte ich zum Klassentreffen auch ganz bestimmt ein Röckchen getragen.) Ich bin auch wohl früher schon immer die gewesen, die sehr schnell kalt hatte und die Jungs um eine Jacke anpumpte. Komisch, denn ich hätte schwören können, das Frieren hätte erst nach meinen Spanienjahren angefangen. Hm.

wooden clogsAber auch ich erinnerte mich dafür noch an Dinge, an die die anderen sich nicht mehr erinnerten! So hatten wir bspw. einen Biologieraum, dessen Bestuhlung auf Podeste geschraubt war. Ähnlich einer kleinen Sporttribüne, nur dass es keine offenen Zwischenräume gab. Außerdem waren die Podeste aus Sperrholz und wenn man darüber ging erzeugt man mit jedem Schritt ein dumpfes Geräusch. Damals waren Holzclogs der letzte Schrei und gerade die Clogs erzeugten natürlich besonders viel Lärm. Und weil es ja keine Zufälle gibt, war es wohl auch keiner, dass ausgerechnet zu dieser Zeit das Lied „We Will Rock You“ von „Queen“ erschien.  Diese Sperrholztribüne bildete jedenfalls die perfekte Basis für die Backgroundgeräusche bei dem Part des Liedes, wo mit den Füßen gestampft wird!  Zum Glück hatten wir einen ziemlich jungen Biolehrer der Queen selbst cool fand und uns oft gewähren ließ. Komisch, dass ausgerechten ich mich daran erinnerte, wo ich doch eigentlich nie Queen-Fan war. Jedenfalls war es ein komischen Gefühl wieder in meinem alten Klassenzimmer zu sitzen, auf demselben Platz wie damals. Jede Wette, dass auch die Bank noch dieselbe war!

Zu diesem Klassentreffen waren auch überdurchschnittlich viele gekommen. Dies hat wohl auch wieder etwas damit zu tun, dass wir als Klasse immer nur ein Süppchen kochten und nicht jeder — oder jede Clique — ihr eigenes Süppchen! Natürlich gab es auch schon sowas wie Cliquen, aber nicht diese Hackordnung, wie heute. Nur drei ehemalige Klassenkameraden die eigentlich hatten kommen wollen, kamen dann doch nicht. Darunter ein Mädchen, die ich persönlich schon sehr gerne wiedergesehen hätte. Nur zwei Personen, die auch schon beim letzten Klassentreffen fehlten, kam auch diesmal nicht, weil sie nichts mehr „mit uns“ zu tun haben wollen. Bei einer dieser Personen ist dies nachzuvollziehen, weil sie eine der beiden Mädchen war, die gemobbt wurden. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir dafür verantwortlich sind, dass sie später ins Kloster ging. Ihre damalige Freundin hatte unter uns genauso viel zu leiden und war trotzdem beim Klassentreffen dabei. Zugegeben, mir fiel es auch jetzt noch schwer mit ihr ins Gespräch zu kommen, aber es ging. Und es gab noch andere ehemalige Klassenkameraden, die früher schon eine andere Wellenlänge hatten als ich und denen ich (auch immer noch) wenig zu sagen hatte. Trotzdem habe ich mich ehrlich gefreut, jeden wiedergesehen zu haben. Na gut — Hand auf’s Herz, fast jeden. Es gab damals schon einen Mitschüler den ich nicht mochte und ganz überrascht stellte ich fest, dass sich daran nichts geändert hat. Zum Glück beruhte diese Abneigung aber immer schon auf Gegenseitigkeit und genau wie ich hat er das auch gespürt. Entsprechend blieb es bei einem knappen Hallo. Eigentlich gab es auch nie ein wirkliches Ereignis, dass diese Animosität erklären könnte. Sie ist einfach da. Ich hielt ihn schon früher für eine Extrawurst und insoweit war er dann auch der Einzige, der zum Klassentreffen mit Partnerin erschien. Dafür bin ich allerdings nicht mit der versammelten Meute von der Schule den laaaaaaaaaaaaaaaaaangen Weg bis zum Restaurant gelaufen, sondern mit dem Auto gefahren: so viel zu den Extrawürsten!

Kueken aus dem EiAndere wiederum, denen ich zu Schulzeiten noch nicht so viel zu sagen hatten, weil sie mir damals vielleicht zu bieder oder brav erschienen, sind jetzt total cool drauf. Wenn mir damals jedenfalls jemand gesagt hätte, dass die, die ich meine einmal ein Buch wie „Shades Of Grey“ lesen würde, hätte ich das nie und nimmer für möglich gehalten. Und die, die ich früher oft gepisakt habe (ich habe sie einmal während der letzten Unterrichtsstunde mit Schnürsenkeln so dermaßen am Stuhl festgeknotet, dass sie ihren Bus verpasste) liebe ich heute noch genauso innig wie früher. Ich habe nämlich immer schon nur denjenigen Streiche gespielt, die ich ganz doll mochte. Trotzdem hatte ich keine beste Freundin in meiner Klasse, aber doch einige Schulfreundinnen, wie die drei mit denen ich damals auch Zelten war. Eine von ihnen saß früher auch neben mir auf der Schulbank. Sie war immer schon viel besonnener wie ich. Trotzdem hat sie nicht gepetzt als sie sah, wie ich die andere Schulfreundin in der Reihe vor mir am Stuhl festband. Tja, wer mich früher als Schulfreundin hatte, der brauchte wahrscheinlich keine Schulfeinde. Ich glaube, ich konnte manchmal ganz schön nerven. (Wäre schön, wenn dem jetzt jemand wiedersprechen würde!) Danke jedenfalls noch mal dafür, dass ihr beide mich später von der Kneipe wieder bis zum Auto begleitet habt. Jede Wette, dass die, die zum Schluss noch in der Kneipe waren am Sonntag einen Brummschädel hatten. Bis auf den Rotweintrinker, der trank nämlich genau wie ich zum Schluss nur noch Sprudelwasser und mit ihm hätte ich mich gerne noch mal unterhalten. Jemand anderes hingegen, mit dem ich in der Schule ebenfalls enger befreundet war und neben dem ich sogar mal eine Zeitlang gesessen habe, bevor er nach dem achten Schuljahr in eine andere Klasse wechselte, machte irgendwie einen Bogen um mich. Hm. Ich habe jedenfalls ein wenig versucht, mal mit (fast) jedem zu quatschen und manchmal habe ich auch bewusst nur zugeschaut.

Ein ehemaliger Klassenkamerad ist mittlerweile tot, es ist der, der auch zu Schulzeiten schon ein Alkoholproblem hatte. Eine ging wie gesagt ins Kloster und eine weitere Klassenkameradin hatte als junges Mädchen einen schweren Unfall. Sie sitzt seit dem im Rollstuhl, war aber trotzdem beim Klassentreffen dabei. Eine weitere Klassenkameradin will partout nichts mehr mit ihren ehemaligen Mitschülern zu tun haben, aber ich glaube irgendwie nicht, dass dies wirklich etwas mit uns zu tun hat — zumal sie immer sehr beliebt gewesen war. Ich erinnere mich noch gut, dass sie schon im letzten Schuljahr plötzlich anfing sich abzusondern. Sie war eines der beiden anderen Mädchen das mit mir zusammen erst später in diese Klasse kam. Zudem wohnte sie im Nachbardorf und bis zum letzten Schuljahr waren sie und ich auch befreundet gewesen. Von einem auf den anderen Tag trennten sich jedoch unsere Wege.

Als ich dann später nach Spanien zog, verstaute ich alles was ich nicht sofort mitnehmen wollte oder konnte in zwei großen alten Rattan-Truhen auf dem Speicher meiner Großeltern. Alte Schulhefte, meine Zeugnisse, auch die Zeichnungen von dem der heute meinen früheren Spitznamen trägt und der wunderschöne „Küken aus dem Ei“ zeichnen konnte, viele Fotos von früher und auch ein altes Kinderspielzeug und einen Wanderstock. Als mein Vater Wind davon bekam, veranlasste er meinen Opa all diese Sachen zu verbrennen. Somit hatte ich auch kein altes Klassenfoto mehr. Vor zehn Jahren dann, beim letzten Treffen, hatte einige Kopien von ihren Fotos gemacht und sie als kleines Präsent denen überreicht die auf diesen Fotos ebenfalls zu sehen waren. Seither habe ich wieder einige Fotos aus meiner Kindheit und Jugend. Und seit Samstag habe ich noch zwei mehr. Auf einem dieser Fotos ist sogar noch mein Wanderstock. Es ist das Foto auf dem drei von uns schwarze Anzüge tragen.

Untitled-3Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass alle ehemaligen Mitschüler es irgendwie geschafft haben ihr Leben in den Griff zu kriegen — selbst die Extrawurst! OK, wenn man zu so einem Treffen geht, versucht man natürlich immer irgendwie alles besser aussehen zu lassen, als es vielleicht in Wirklichkeit ist. Bauch rein, Brust raus! Ich bilde da sicherlich keine Ausnahme. Aber was ich sagen will: jeder von uns hat auf seine Weise eine Persönlichkeit entwickelt, die so stark ist, dass er oder sie sich nicht hat unterkriegen lassen! Niemand ist am Leben zerbrochen und natürlich haben einige meiner ehemaligen Klassenkameraden in den letzten 35 Jahren sicherlich trotzdem viel Scheiße erlebt. Aber mit einer Ausnahme sind sie alle noch da — und die „Macken“ die sie haben, die hatten sie auch schon in der Schulzeit. Wenn wir vielleicht in einer anderen Klasse gewesen wären oder einen anderen Klassenlehrer gehabt hätten, sähe dies vielleicht anders aus. Was mich angeht, so haben mich zum Glück auch die zwei Jahre bei dem anderen Klassenlehrer nicht kleingekriegt. Irgendwann habe ich doch wieder angefangen zu schreiben und meine „Aufsätze“ sind immer noch wesentlich länger, als zwei Seiten!

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